Kleine und große Traumata?

In der Erforschung der Psychotraumata wird diskutiert, ob es unbedingt immer ein großes Ereignis sein muss, welches eine Traumatisierung hervorruft. Gemäß des Diagnostiksystems ICD ( International statistical Classification of Disorders and related helath problems) der Weltgesundheitsorganisation WHO ist für eine Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ein „Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalen Ausmaß“ der psychischen Störung vorausgegangen.

Die klinische Erfahrung zeigt jedoch, dass nicht nur solche Ereignisse eine tiefgreifende psychische Störung hervorrufen können, sondern auch eine Vielzahl von „kleineren“ traumatisierenden Ereignissen. Ein Beispiel dafür ist eine langjährige emotionale Deprivation, also ein Mangel an Wärme, Aufmerksamkeit und Geborgenheit, in der Kindheit oder Jugend. Auch eine solche kumulierte Erfahrung kann eine PTBS hervorrufen. Wie schon erwähnt, haben auch Faktoren vor und nach einem Trauma eine Bedeutung dafür, ob sich eine überdauernde psychische Störung entwickelt. Auch hier scheint eine Kumulation der Belastung bzw. andauernde Schwächung der individuellen Ressourcen und Verarbeitungsmechanismen eine wichtige Rolle zu spielen.

Ein Psychotherapeut und Forscher der sich sehr intensiv mit der Bedeutung von kumulierter traumatischer Erfahrungen beschäftigt hat, ist der amerikanische Psychologe Ricky Greenwald. Er vertritt einen erweiterten Traumabegriff, der auch Verluste und Mangelerfahrungen als eine Art von Traumatisierung ansieht. Ricky Greenwald entwickelte ein „Fairy Tale“ Modell der Traumatherapie, welches sehr gut die Folgen und die Behandlung einer Traumatisierung versinnbildlicht und einen hilfreichen Orientierungsrahmen für die Therapie einer PTBS liefert. Ich hatte das Glück ihn und seine Methode in einer intensiven Fortbildung in den USA kennen zu lernen.

Der Ansatz von Ricky Greenwald erklärt auch, wie sich Ängste, Verluste der Impulskontrolle, und Aggressivität von Jugendlichen auf erlittene Traumatisierungen und Verletzungen zurückführen lassen. Der Schlüssel sind für ihn lange angestaute Gefühle, die beachtet und mit Hilfe von traumatherapeutischen Methoden gelöst werden müssen. Insofern können Traumatisierungen auch eine andere Symptomatik als eine PTBS auslösen.